Richard Strauss letzte Oper Capriccio - ein Konversationsstück mit Musik - spielt im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts. Nach dem Motto Prima la musica e poi le parole streiten der Komponist Flamand und der Musiker Olivier um die Vorherrschaft von Wort oder Musik und zugleich um die Gunst der Gräfin Madeleine. Dem hintersinnigen und anspielungsreichen Alterswerk wird gern Oberflächlichkeit und Langeweile nachgesagt - zu Unrecht wie die aktuelle Premiere an der Oper Köln nachhaltig unter Beweis stellte.
Willkommen im Elfenbeinturm.
Die Inszenierung von Christian von Götz macht aus der Handlung ein kongeniales Spiel im Spiel, angesiedelt in der Entstehungszeit des Stückes: 1942 - im von den Deutschen besetzten Paris. Alles ist nicht mehr als ein flüchtiger Traum in einer Samstagnacht, aber auch nicht weniger. Bilderstark, intellektuell überzeugend, emotional bewegend, getragen von einem intensiv agierenden Solisten-Ensemble wächst da ein Opernabend, dem man sich nicht entziehen kann. Die Rahmenhandlung ist behutsam inszeniert, nur zaghaft mit dem Capriccio-Spiel verknüpft, dann aber um so bewegender. Der Graf ist ein Nazi-Bonze und stellt jüdischen Flüchtlingen Passierscheine aus. Wenn die Gräfin an der Rampe sitzt und in Tränen ausbricht, weil sie bemerkt, dass ihr Schmuck einen jüdischen Vorbesitzer hatte, dieser stumme Moment wird zum Höhepunkt des Abends. Die Schlussworte "Das Souper ist serviert." markieren den Abschied. Die Utopie kann nicht von Dauer sein - das rückt sehr nah heran an Richard Strauss.
Auch Schreibtischtäter sind Menschen.
Mit Camilla Nylund steht als Gräfin eine wirklich herausragende Sängerin und Darstellerin zur Verfügung. Sie beherrscht sowohl die parlandohafte Leichtigkeit der Partitur, wie auch die große Gesangslinie. Ihre Interpretation der Figur kann so als exemplarisch gelten. Mit sicherem Gespür für das nötige Maß an Identifikation und Distanz und fein portionierter Ironie steht sie unangefochten im Mittelpunkt des Geschehens. Ebenfalls hervorragend: Miljenko Turk in der Rolle des Dichters Olivier, der Hausbariton der Oper Köln, den man hoffentlich bald an anderer Stelle wieder hören wird. Hauke Möller steigert sich als Komponist Flamand zusehends, Ashley Holland ist rollendeckend ein zerrissener Graf. Als Schauspielerin Clairon überzeugt Ursula Hesse von den Steinen durch komödiantischen Zeichnung ihrer Figur. Mit viel Kraft, aber zu wenig Differenzierungsvermögen gibt Michael Eder den Theaterdirektor La Roche, er kommt souverän durch die Partie, bleibt aber zu viel an stimmlicher Gestaltung schudlig. Das gilt leider auch für das Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Markus Stenz. Es wird mit Liebe zum Details gespielt, aber nicht mit Inspiration musiziert, was für diese zu ein paar Ausführlichkeiten neigende Oper aber dringend notwendig wäre.
Der Traum ist aus.
Dieser außerordentlich gelungene Capriccio kündet auf beeindruckende Weise von den Möglichkeiten eines realistischen Musiktheaters mit poetischer Rafinesse und politischer Relevanz. Das die Inszenierung inhaltlich etwas wagt stellt man bei dem geglückten Ergebnis kaum in Rechnung. Die letzte Produktion der Oper Köln, bevor der neue Intendant Uwe Eric Laufenberg sein Amt antritt (vom Ende einer Ära will man nicht sprechen) setzt ein Achtungszeichen. Es geht doch!
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