Sonntag, 12. April 2009

L'amour et la revolution

An der Deutschen Oper Berlin ist seit dem Amtsantritt von Intendantin Kirsten Harms eine Premiere pro Saison einer sogennanten Ausgrabung vorbehalten. Dabei handelt es sich zumeist um ein großes Musiktheaterwerk aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, so auch bei Ottorino Respighis Oper "Marie Victoire" von 1913, welche am Gründonnerstag des Jahres 2009 zur Deutschen Erstaufführung kam. Ob das Werk Eingang ins Repertoire finden wird bleibt nach dieser Inszenierung allerdings noch offen.


Ohne Zweifel ein Ensemblestück!

Es ist ein großer, ein langer Opernabend, den Regisseur Johannes Schaaf (anstelle der abgesprungenen Katharina Wagner) und sein Team in ganz klassischer Weise auf die Bühne gebracht haben. Oper wie früher im Breitwandformat, aber sehr gekonnt. Es überrascht wie souverän Schaaf die verschiedenen Handlungsstränge montiert und die vielen Zweier- und Dreierszenen spannungsvoll arrangiert. Es gelingt ihm so über weite Strecken eine Binnenspannung zu erzeugen, die dem Werk selbst eher fehlt. Dem praktikablen Bühnenbild (Susanne Thomasberger) sind die Sparvorgaben des Hauses leider anzusehen; den aufwendigen und sehr gelungenen, historisierenden Kostümen (Petra Reinhardt) überhaupt nicht. Musikalisch am interessantesten ist der dritte Akt, hier geht die szenische Lösung wirklich auf, wenn sich die Gefangenen auf ganz unterschiedliche Weise auf die für den nächsten Morgen angesetzte Hinrichtung vorbereiten. Dazu kommt es nicht, weil gerade in dieser Nacht den Revolutionsführer Robispierre das gleiche Schicksal ereilt. Marie hatte sich, in ihren vermeintlich letzten Stunden, einem ebenfalls verurteilten, langjährigen Verehrer hingegeben und ist jetzt frei und doch am Ende. Ein schicksalhafter Augenblick voller Tragik und Größe - wie gemacht für einen großen veristischen Opernmoment, derer gibt es einige im Laufe der vier Akte.


Nach der Revolution macht Marie Victoire in Hüten - mit Erfolg.

Musikalisch überzeugt die Aufführung auf der ganzen Linie, mit Michail Jurowski steht ein engagierter Sachwalter Respighis am Dirigentenpult. Das Orchester der Deutschen Oper macht den Farbenreichtum und die Klangpracht der Musik, die Anleihen bei Puccini und Debussy nimmt, sehr schön deutlich. Im Mittelpunkt steht aber die junge amerikanische Sopranistin Takesha Meshé Kizart als Marie Victoire, eine Sängerin mit einer enormen Persönlichkeit und einer großen, entwicklungsfähigen Stimme, die schon jetzt in Erinnerung bleibt und die man auf jeden Fall wieder hören möchte. Das interessanteste Rollenporträt des Abends gelingt Stephen Bronk als Cloteau, der die ganze Zeit an der Seite Maries, seine Entwicklung vom Gärtner über den jakobinischen Gefängnisdirektor zum Hausdiener mit Familienanschluss sehr sinnhaft deutlich macht. Solide ist die Leistung des ganzen Ensembles, die Besetzungsliste führt immerhin 18 Namen auf!


Schwäche? - Aber nur einen Moment! - Und mit Zeugen...

Ein endgültiges Urteil über die Oper kann nach dieser Inszenierung noch nicht gesprochen werden. Sicher, die Handlung ist zu weitschweifig und die Musik unentschlossen. Dennoch überrascht und berührt die Geschichte und es ist ein wirkliches Ensemblestück. Auf jeden Fall wäre es eine Herausforderung für eine mittleres Opernhaus und einen Regisseur, der sich für einen eher psychologisierenden Zugriff entscheidet. Johannes Schaaf war hier weniger gut beraten, ein realistisches Tableau zu inszenieren. Er hilft dem Stück damit zu wenig, weil er so die Schwächen eher ausstellt, als kaschiert. Es bleibt zu hoffen, dass sich bald ein anderes Haus für eine erneute Inszenierung entscheidet.

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