Wer ein folkloristisch ausgemaltes Mittelalter nach Victor Hugo erwartet liegt komplett falsch. Die Inszenierung erzählt die Geschichte formenstreng und bildgewaltig als Rückblende: Zu Beginn sitzt Esmeralda zum Tode verurteilt auf dem elektrischen Stuhl und der Weg bis dahin läuft nochmals in ihrer Erinnerung ab. Sie ist hier nicht die schöne Zigeunerin sondern ein eiskalter Vamp, der sich nur ab und zu aus seinem orangen Anzug herausschält um selber zur Liebenden zu werden. Der Regisseur will zeigen, das Esmeralda Objekt zahlreicher Männerfantasien ist und dass ihr das schließlich zum Verhängnis wird. Das gelingt ihm recht eindrücklich, aber der Preis ist hoch, weil ihm so alle anderen Aspekte des Stoffs verloren gehen. Vom sinnenfrohen Mittelalter ist wenig zu sehen, wir befinden uns im puritanischen Amerika. Camilla Nylund gestaltet die Esmeralda mit Marylin-Perücke und im Sträflingsoutfit mit wunderbar fließenden Soprantönen, hin und wieder mit kontrollierten emotionalen Ausbrüchen, muss sich aber zu sehr in die unterkühlte Lesart der Figur fügen. Schade, hier könnte doch eine Sopran-Carmen auf der Bühne stehen! In den Mittelpunkt der Inszenierung rückt der Archediakon - von Markus Butter stimmlich, wie darstellerisch sehr eindrucksvoll gestaltet - der sich seine Liebe zu Esmeralda nicht zugestehen kann und sie, auch um sich selber zu bestrafen, in den Tod schickt. Der Geistliche und die Liebe - hier entsteht ein hochinteressanter Diskurs mit tagesakutellen Bezügen, auch körperlich prägnant umgesetzt. Respekt! Nach längerer Pause wieder zu hören ist Robert Gambill, eigentlich weltweit im Heldentenorfach unterwegs. Er hält sich als Hauptmann Phoebus, die große Liebe Esmeraldas, merklich zurück und zeigt auf der ganzen Linie einen wirklichen Durchschnittsmenschen. Keine schlechte Idee, wenn nicht diese merkwürdige Distanz zueinander bliebe, die sich durch die ganze Inszenierung zieht. Gewohnt solide sind auch die kleineren Rollen mit Matthias Henneberg und Oliver Ringelhahn aus dem Dresdner Ensemble besetzt. Nur wenig Profil darf Jan-Hendrik Rootering als Quasimodo zeigen, er wird im Hausmeisterkittel zur Nebenfigur degradiert, sein immer brüchiger klingender Bass passt allerdings gut zur Kreatur, die alle Hoffnungen fahren lässt und ihm gehört auch der große letzte Satz der Oper: Erbebe, du Riesenbau! Falle und begrabe dich unter mir!
Konnten Gerd Albrecht und Günter Krämer mit ihrer gemeinsamen Penthesilea-Produktion vor drei Jahren einen wirklich Triumph landen bleibt das Ergebnis hier unentschieden. Die Inszenierung geht auf Distanz zur Geschichte, das funktioniert, weil dadurch auch alle Sentimentalitäten und folkloristischen Einbettungen umgangen werden, die das Ganze schwer erträglich machen würden. Aber die Aufführung kommt so auch nicht nah genung an die Figuren heran. Die Arrangements stimmen, aus den Personen werden aber keine Menschen. Bei aller Virtuosität der Umsetzung bricht immer wieder Theaterkonvention aus, die hier völlig unangemessen ist und zu wenig funktioniert. Das Schicksal von Esmeralda wird erzählt, doch es berührt nicht. Das gilt für den ganzen Abend, zu viel allemeine Zivilisationskritik, welche die Geschichte überfrachtet. Die Musik gleicht das nur zum Teil aus. Die Staatskapelle Dresden spielt durchhörbar, manchmal fulminant und oft angenehm pathosfrei. Das ist insbesondere beim bekannten Zwischenspiel (welches in der Oper dann doch zu oft zitiert wird) sehr angenehm zu hören. Das Werk ist interessant instrumentiert und über weite Strecken abwechslungsreich, doch wirklich zwingend ist die Musik nicht. Insofern ist auch der Ansatz von Dirigent und Regisseur, die Oper kantiger und härter zu machen, nachvollziehbar.
Auch wenn für die Fachbesucher manche Wünsche offen bleiben folgte das Publikum in der ausverkauften Semperoper der Aufführung mit großer Konzentration und viele engagierte Pausengespräche zeugten von der emotionalen Aufnahme des Gesehenen. Einen bekannten Stoff über eine mutige Annäherung neu erfahren, eigentlich eine der hervorragendsten Aufgaben von Musiktheater. Überraschend, dass das gerade mit dieser Aufführung gelingt! Und sicher auch ein Verdienst des hervorragenden Sängerensembles, welches sich die komplizierten Partien sehr engagiert zu eigen gemacht hat. Erwähnenswert ist noch das in jeder Hinsicht lesenswerte Programmheft, welches informativ und abwechslungsreich neben dem Werk, und dem Komponisten auch die Hintergründe der Produktion beleuchtet. Ob die Oper mit dieser Inszenierung für das Repertoire zurück erobert wurde scheint eher fraglich, aber Anlass die Romanvorlage von Victor Hugo zur Hand zu nehmen ist sie allemahl. Und es bleibt die Hoffnung, dass auch die neue Intendantin die Spielplanlinie von Prof. Uecker, jedes Jahr eine eher unbekannte Oper zur Premiere zu brigen, fortführen wird.
Die Inszenierung ist am 2. Mai 2010 zum letzten Mal in der Semperoper zu sehen!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Jeder namentlich gezeichnete Kommentar, der sich auf die Inhalte dieses Blogs bezieht, ist willkommen! Bitte nicht anonym kommentieren!