Montag, 16. März 2009

Ein Held starb

Wenn eine Oper nach ihrer Uraufführung nur vier Vorstellungen erlebt und es dann 83 Jahre dauert, bis sie wieder in den Spielplan zurück kehrt, dann kann man nicht wirklich von einer Aufführungsgeschichte sprechen. Fast zu spät kehrt Hindemiths "Cardillac" heim auf die Bühne der Dresdner Semperoper.


Die Chorkostüme sind mit "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" bedruckt - genauso wirkungsvoll: Markus Marquardt als Cardillac

Jede Note atmet den Geist der zwanziger Jahre, eine expressionistisch grundierte Geschäftigkeit, eine von extremen Spannungen gespeiste Vitaltät. Im Vorfrühling des Jahres 2009 glaubt man kaum, dass es auch in Dresden mal so etwas gegeben hat, wie die "roaring twenties". So fern scheint das alles und so wenig entspricht das auch dem Klangideal der Staatskapelle Dresden. Doch das Orchester kommt unter der Leitung von Fabio Luisi erstaunlich gut mit der herben Schönheit der Partitur zurecht. Präzision im Detail und Sinn für die Effekte machen die transparente Interpretation zu einem wirklichen Genuss. Das gleiche gilt für den Staastsopernchor, der sich in den schön arrangierten Chorbildern mit klanglicher Fulminanz seiner Aufgabe stellt. In der kammerspielartig angelegten Handlung gibt es dann allerdings wenig Aktion und viel konventionelle Gestik zu sehen. Das groß angelegte Bühenbild mit den klappbaren Spiegelwänden ist nicht wirklich eine Hilfe, zu oft wirken die Sänger verloren auf der großen Semperopernbühne. Regisseur Philipp Himmelmann und sein Austatterteam interpretieren das Werk aus dem Geiste E.T.A. Hoffmanns und begeben sich dadurch in die düsteren Untiefen einer unverstandenen Künstlerexistenz. Vielleicht ist das ein Irrweg (den schon der russische Regisseur Issai Dobrowen bei der umstrittenen Uraufführung 1926 beschritt), denn Hindemith geht es um das Universelle, um das Prinzip "Cardillac". Ein Mörder als Held! In der Analyse von Individuum und Gesellschaft wird man wohl eher bei Sigmund Freud fündig werden oder viel aktueller im Theater von Bernard Marie Koltés ("Roberto Zucco"). Die Inszenierung bleibt auch in der zeitlichen Einordnung zu vage und unentschlossen. Eine Deutung des Werkes aus seiner Entstehungszeit würde der Geschichte besser auf den Grund kommen. Zu vieles bleibt im Ungefähren, der Abend gefällt, wo er weh tun müsste!

Durchweg erfreulich sind die Sängerleistungen. Markus Marquardt ist ein wunderbar kraftvoller Cardillac, er vollzieht mit der Rolle einen Fachwechsel zum Heldenbariton, man freut sich auf ein Wiederhören in anderen Partien. Anna Gabler als seine Tochter und Oliver Ringelhahn stehen ihm darstellerisch und sängerisch kaum nach. Bei Evelyn Herlitzius ist jeder Ton ein Edelstein (man hat sich schon so sehr daran gewöhnt, dass einen diese Sängerin immer überzeugt) und zusammen mit Rainer Trosts sicher geführtem Tenor gerät der erste Akt bereits zum Höhepunkt der Aufführung.


Luxusbesetzung im ersten Akt: Rainer Trost als Kavalier und Evelyn Herlitzius als Dame.

Insgsamt handelt es sich um einen gelungen Opernabend, nicht zuletzt wegen der geschlossen hervorragenden musikalischen Leistung; man hätte sich inszenatorisch einen stärker akzentuierten Zugriff auf das Werk vorstellen können. Das Dresdner Premierenpublikum gab sich dann auch interessiert und geizte nicht mit Applaus für Protagonisten, Regieteam, Chor und Orchester. Keine schlechten Voraussetzungen also, den "Cardillac" für das Repertoire zurück zu gewinnen, denn dort gehört er hin, zumal am Ort seiner Uraufführung. Man kann an einem Abend sicher keine acht Jahrzehnte Zwangspause überbrücken, aber ein Anfang ist gemacht.

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