Montag, 9. November 2009

Onegins Alptraum(a)



Man kann der Münchener Inszenierung von Krzysztof Warlikowski - die gerade wieder für einige Aufführungen zu sehen war - vieles vorwerfen, wenn man denn will. Sie verzichtet auf manches, was gern mit Eugen Onegin verbunden wird. Russisches Landkolorit sucht mal genauso vergelblich, wie prachtvoll ausgespielte Tanzbilder. Dennoch ist die Lesart schlüssig. Der Regisseur versucht das Stück konsequent - aber auf interessante Weise indirekt - aus der Biografie Tschaikowskys zu entwickeln. Auf diese Weise legt er Unschärfen frei, über die sonst leichtfertig hinweg gegangen wird und wagt einen zweiten Blick auf die Konstellation und Dynamik der Figuren, der durchaus reizvoll ist. Das Duell zwischen Onegin und Lenski ist Kulmination einer nicht gelebten Liebesbeziehung der beiden. Onegin greift zur Pistole, wenn Lenski ihm zu nahe kommt. Dann sind wir aber schon längst in dessen Alptraum eingtaucht, der vielleicht in Tatjanas Briefszene beginnt, die Onegin mit ihrer Hier stehe ich und kann nicht anders. - Pose gehörig unter emotionalen Druck setzt, für den er kein Ventil findet. Die Frauen Tatjana und Olga stehen hier nicht im Zentrum, beide sind trotzdem nicht zu Randfiguren degradiert. Warlikowski legt auf geschickte Weise immer wieder neue Bedeutungslinien fest, deren Verknüpfungen nach und nach deutlich werden. Das Skandalon ist nicht Tschaikowskys (übrigens auch von ihm selbst nicht verheimlichte) Homosexualiät, sondern die Unerbittlichkeit und die Unlösbarkeit der emotionalen Verwerfungen der Figuren, die immer auch als ganz existenteillen Verlängerungen von Lebensmustern ihres Autors gelesen werden können. Das ist genau die Weise, auf welche der Komponist sein Werk verstanden wissen wollte - es war eben nicht eine weitere große russische Oper die Tschaikowsky komponiert hat, sondern lyrische Szenen. Die legt Warlikowksy durchaus groß an: In ungastlichen verglasten Innenräumen kommt die Handlung immer wieder förmlich zum Stehen, müssen die Figuren sich ihr Weiterleben erkämpfen. Das Leben ist hier kein Spiel, es ist ein Kampf. Mit der Polonaise am Beginn des dritten Aktes wandelt sich dieser Raum dann mit einem merkwürdig gebremsten, aber umso eindrücklicheren Männerballett endgültig zum gespenstischen Alptraumort. Erstauntlich wie fest sich das Bild der schwulen Cowboys aus dem Brokeback Mountain bereits in die zeitgenössische Ikonografie eingeschrieben hat. Nur viel weniger überzeugen kann die musikalische Seite der Aufführung. Michael Volle singt einen noblen, kraftvollen Onegin, weniger Wohlmeinende könnten seiner Darstellung auch eine gewissen Blasiertheit entnehmen. Er wird die Rolle wohl nicht mehr ewig im Repertoire halten. Die anderen Partien sind eher durchschnittlich besetzt, in Erinnerung bleibt kaum etwas. Der junge russiche Dirigent Dimitri Jurowski müht sich sichtbar, der Partitur gerecht zu werden. Er reagiert mehr, als dass er selber Herr des Geschehens wäre und bleibt so viel kammermusikalische Glut schuldig, die gerade in dieser Aufführung wichtig wäre. Er hat noch nicht die Kragenweite seines älteren Bruders Wladimir oder gar seines Vaters Michail Jurowski, ein paar Saisonen kapellmeisterliche Provinzerfahrung sollte für ihn der richtige Weg sein.

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