Während die Münchener Opernfestspiele routiniert ihr Programm abspielen und keiner so richtig weiß, warum sie eigentlich noch gebraucht werden, ist nebenan im kleineren Gärtnerplatztheater ein musiktheatralisches Kleinod zu bestaunen: Benjamin Brittens DEATH IN VENICE in der Inszenierung von Immo Karaman.
Benjamin Brittens letzte Oper hält sich eng an den Handlungsverlauf in Thomas Manns Novelle. Der alternde Dichter Gustav von Aschenbach reist nach Vendig, um seiner Münchener Schaffenskrise zu entfliehen. Dort entdeckt er in dem Knaben Tadzio eine ungekannte Vollkommenheit, die er in seinem künstlerischen Schaffen nie erlangt hat. In der Lagunenstadt grassiert die Cholera, wie im Rausch steigert sich Aschenbach in diese, seine letzte Liebesbeziehung hinein. Der Tenor Hans-Jürgen Schöpflin verkörpert diesen Aschenbach auf kongeniale Weise, nuanciert im Spiel und mit einer unermüdlichen Stimme voller Strahlkraft, Wärme und Farbenreichtum. Ein Rollenportrait von herausragender Größe. An seiner Seite Gary Martin mit sechs verschiedenen Nebenfiguren, wunderbar anmaßend und differnziert gespielt. Eine durchweg überzeugende Leistung liefern Ensemble, Ballett und Chor des Gärtnerplatztheaters bis hin zu letzten Figur der reichhalten Besetzungsliste.
Musikalisch ist die Aufführung ein wirkliches Erlebnis, Dirigent David Stahl hält entschlossen die Balance zwischen zartesten Nuancierungen und hochdramatischen Zuspitzungen, nie zu viel und nie zu wenig. Da stimmt jedes Detail und auch die kargen, schroffen Sequenzen entfalten ihre herbe Schönheit. Das gilt genauso für die Inszenierung, die ungeheuer dicht und verspielt, dem Geschehen viele Bedeutungsebenen einfügt, ohne dabei ihre Stringenz zu verlieren. Gekonnt verbindet Regisseur Immo Karaman die verschiedenen Elemente und schafft schlüssige, poetische Bilder, die Choreografien sind mit sicherer Hand in dei Handlung eingefügt, das zunächst funktionale Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer erschließt immer wieder neue, überraschende Spielräume. Auch dramaturgisch erweist sich die Aufführung als großer Wurf. Jenseits aller Klisches wird die Begegnung von Aschenbach und Tadzio nicht schwülstig als spätes Outing-Drama erzählt, sondern - die erotische Grundierung durchaus nicht aussparend - als ein gesellschftskritisches Tableau, das sich einer allzu vorschnellen und eindeutigen Interpretation entzieht. Alles fügt sich zu einem großen, spannenden Musiktheaterabend zusammen, der in seinem Reichtum und in seiner Geschlossenheit noch lange nachwirkt.
Viel zu selten werden die Opern von Benjamin Britten gespielt. Das verwundert, weil sie doch durchaus effekt- und inhaltsvoll die Anforderungen des modernen Opernbetriebs scheinbar bestens bedienen. Diese Münchener Aufführung ist auf jeden Fall mehr als ein Geheimtipp für alle von dem Opernfestspielen am Nationaltheater Gelangweilten oder Enttäuschten!
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