In diesem Sommer entdecken die Pariser Oper und die Bregenzer Festspiele ein ganz außerordentliches Werk des polnischen Komponisten Karol Szymanowski neu: Die Oper DER KÖNIG UND DER HIRTE, 1926 in Warschau uraufgeführt, gilt als ein noch zu entdeckendes Meisterwerk. Vollkommen zurecht, wie man in Paris zum Teil und in Bregenz in aller Konsequenz erfahren konnte.
Das nicht ganz einfache Stück nimmt wesentliche Bezüge aus der Backchen-Tragödie des Euripides und verschneidet sie mit dem Schicksal des christlichen Königs Roger der im Mittelalter Sizilien regierte. Ein schöner junger Hirte kommt an den Hof und setzt seine Naturphilosophie gegen die herrschenden Strukturen. Er wird nicht etwa Opfer, sondern - und das ist das Unerhörte an der Geschichte - ihm gelingt es ein Umsturz anzuzetteln. Der Körper triumphiert hier mindestens über den Geist, dann vielleicht sogar noch über sich selbst. Das ist nicht nur ideengeschichtlich hoch interessant sondern erscheint auch bemerkenswert wirkungsvoll als Opernstoff. Sinnlichkeit versus Religion, Verzicht vesus Extase - das sind existentielle Fragen deren Beantwortung an die Grundfesten der Gesellschaft gehen. Und über das Dyonisische in der heutigen Zeit nachzudenken könnte eine dankbare Aufgabe für das Theater sein!
Am Geschick, mit welchem eine Aufführung mit der szenischen Darstellung des Orgiastischen umgeht lässt sich dann auch der Erfolg derselben festmachen. Regisseur und Festspielintendant David Pountney geht den Weg der Stilisierung und lässt im Bregenzer Festspielhaus auf einer schlichten weißen Treppenbühne von Raimund Bauer spielen, die an ein antikes Amphitheater erinnert. Er inszeniert mit viel Kraft und setzt auf Effekte, bleibt aber immer im Gerüst der Handlung. Dynamisch arrangierte Massenszenen wechseln mit starken Einzelbildern ab. Alles ist schlüssig aufeinander bezogen, nichts verselbständigt sich. Das gilt insbesondere für den stimmigen und wirkungsvollen Einsatz von Licht (Fabrice Kebour) und Choreografie (Beate Vollack). Unter der Leitung von Sir Mark Elder bringen die Wiener Symphoniker den Glanz und die Wucht der anspruchsvollen Musik ganz wunderbar zu Geltung. Bei den Protagonisten bleiben ebenfalls keine Wünsche offen: Will Hartmann als strahlender Hirte, Scott Hendricks als stimmgewaltiger König und Olga Pasichnyk mit einer ungefährdeten auftrumpfenden Interpreation der Königin Roxane.
Die Pariser Inszenierung des polnischen Regisseurs Krzysztof Warlikowski verzichtet dagegen auf ein konsistentes Nacherzählen der Geschichte. Die Exstase bleibt statisch. Eher oratorienartig arrangiert der Regisseur eine gebremst surrealistische Annäherung an die Geschichte. Das verfällt aber schnell ins Klischee und wirkt auch handwerklich eher unbeholfen. Doch mit Mariusz Kwiecien steht einer der interessantesten Sänger seiner Generation auf der Bühne, der in seiner Muttersprache singend und viel nackte Haut zeigend, mehr für diese Aufführung leistet, als die Regie will oder kann. Dennoch insgesamt ein respektabler Versuch ein wichtiges Werk für das Repertoire zu gewinnen, der die Hoffnung auf Nachahmer schüren kann.
Die Aufführung aus Paris kann on demand im Internet abgerufen werden.
Alle Abbildungen von den Bregenzer Festspielen.
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