Samstag, 4. Juli 2009

Liebe Macht Tod

Mit seiner letzten Oper "Turandot" (1920) kommt Giacomo Puccini endgültig im zwanzigsten Jahrhundert an - musikalisch und inhaltlich. Nichts mehr von entrückten Melodien à la "Tosca" oder "La Bohéme". Hier geht es um alles - um Liebe und um Macht, also um das Leben. Deshalb sah er sich auch außerstande ein Happy End zu erfinden, die Oper wurde erst posthum vollendet. An der Deutschen Oper Berlin steht seit Anfang dieser Saison die komplettierte Form auf dem Spielplan, und zwar in einer anspuchsvollen und eigensinnigen Inszenierung, die überzeugt.



Regisseur Lorenzo Fioroni verzichtet dabei auf jegliche chinesische Folklore und wirft - angereichert mit ein paar ironischen Seitenhieben - einen abgeklärten illusionslosen Blick auf das Stück. Wenn Liebe und Macht aufeinandertreffen gehen beide unter, das ist die These der Aufführung, die mit intensiven Bildern beglaubigt wird. Fulminant und auftrumpfend und dennoch plausibles Menschentheater - das ist selten. Das Ganze ist dazu noch handwerklich solide arrangiert und hat in sich eine Musikalität, die man sonst so oft schmerzlich vermisst. Dirigent Pinchas Steinberg hat das Geschehen im Griff, er nimmt das Orchester gelegentlich sängerfreundlich zurück und weiß die entscheidenden Akzente zu setzen und dem Klangrausch keine zu engen Fesseln anzulegen. Mit Maria Guleghina wurde eine der rennomiertesten Sängerinnen für die Titelpartie aufgeboten. Sie singt die Turandot schon seit längerem und überall, oft mit großem Erfolg. Den hatte sie auch hier, aber die Anstrengungen der letzten Jahre sind ihrer Stimme dann doch anzumerken, die schweren Partien wie Turandot, Abigaille und Lady Macbeth, auf welche sie abonniert ist, haben ihre Spuren hinterlassen. Zu viele Töne sprechen nicht mehr richtig an, in der Höhe gibt es Schärfen und in der Rätselszene zeigte sie sich merkbar unsicher. Gegen Ende singt sie sich dann auch noch richtig in Hochform und löst die Figur erstaunlich facettenreich ein. Sie ist immer noch eine wunderbare Turandot und wenn endlich in Fahrt auch die große Diva, auf die das Publikum wartet. Dessen Symphatie fliegt auch Elena Mosuc als Liu zu, die im Frühjahr am gleichen Haus eine phänomenale Lucia di Lamermoor gesungen hatte, diesmal ist der Eindruck eher gemischt. Bei ihre bleibt alles irgendwie Behauptung, ihr gelingt an diesem Abend nicht, was Guleghina so meisterhaft macht: Defizite, seien sie Tagesform oder grundsätzlicher Natur in der großen Geste zu transzendieren. Möglicherweise ist das auch der Inszenierung zuzurechnen, die der Turandot-Figur eine erstaunliche Ambivalenz als Frau zugesteht ober besser abfordert, Liu bleibt da viel eindimensionaler. Als Calaf überzeugt Roy Cornelius Smith mit großer Durchschlagkraft, er ist die ganze Partie hindurch völlig ungefährdet unterwegs. Die drei Minister Ping, Pang und Pong sind mit Simon Pauly, Jörg Schörner und Paul Kaufmann bestens besetzt, auch szenisch ist das alles sehr schön präzise. Unerschütterlich Peter Maus, wieder mal eine großartige Studie, als Altkaiser. Ohne Makel auch der Opernchor der Deutschen Oper. Ein auf jeden Fall sehenswerter Abend, vielleicht entfaltet sich der konzeptionelle Ansatz einer einer anderen (weniger auf Opulenz angelegten) Sängerkonstellation noch besser. Auf jeden Fall handelt es sich um eines der raren Beispiele, bei welchem sich der Ersatz einer alten Aufführung aus der Götz-Friedrich-Ära durch eine Neuproduktion als Gewinn erweist!

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