Sonntag, 15. August 2010

Ein Kammerspiel in Breitwand


Man kann Regisseur Nikolaus Lehnhoff für diese Elektra im Großen Festspielhaus zu Salzburg gar nicht dankbar genug sein! Er machts nichts weniger, als dieses Schlüsselwerk des Musiktheaters des zwanzigsten Jahrhunderts wieder auf sich selbst zurück zu führen und stellt damit den Blick frei für eine völlig neue, unverbrauchte Sicht auf die Oper. Er liest Elektra als Kammerspiel (was die Theatervorlage ja auch ist) und macht daraus ein breites, existenzielles Tableau. Fast den ganzen Abend herrscht Dämmerung, kein Scheinwerfer wirft ein klärendes Licht von außen. Unerbittlich läuft das Geschehen und offenbart sich aus sich selbst. Die Welt ist nicht aus den Fugen, sie bleibt außen vor. Die großartige Bühne, ein gedehnter Unraum, den sich Elektra selbst erschaffen hat, nur sie. Anders kann sie nicht existieren. Zeit ist ihr nichts, ihre Rache alles. Lehnhoff und sein Bühnenbilder Raimund Bauer verzichten auf alle überstarken Setzungen und bieten den Sängern breiten Entfaltungsraum. Dennoch ist ihr Zugriff nicht zurückhaltend, im Gegenteil. Psychoanalytisch grundiert wird hier in aller Klarheit eine Geschichte aufgestellt, die es in sich hat, bei der man beim bloßen Zusehen fröstelt. Vielleicht das Wichtigste: Nie gerät das Geschehen auf der Bühne in Konkurrenz mit der Musik und bleibt doch immer mit ihr auf engste verknüpft. Das Opernregie eine Kunst ist - hier, in dieser Elektra sieht man es wieder auf das Schönste!

Lang erwartet wurde das Debüt von Waltraud Meier als Klytämnestra. Das hat sich gelohnt, was diese Ausnahmesängerin aus der Rolle macht ist bemerkenswert. Da steht keine Furie auf der Bühne, sondern eine desolate, bedürftige Frau, die sich jeder Situation ausliefern würde, um Ruhe zu finden. Die Meier macht das durchaus mit der ihr eigenen Noblesse und Grandezza, aber auch mit frappierender Detailgenauigkeit in der Darstellung und ohne die Figur auch nur in einem Moment zu verraten. Und auch das ist eine neue Erfahrung: Man kann die Klytämnestra singen und zwar jeden Ton, wenn man kann! Schon das lohnt die nicht ganz preiswerte Karte! Irene Theorin als Elektra liefert eine plausible Studie einer im selbsterrichteten Gefängnis gefangenen Frau. Ihre Situation ist ausweglos, ihre Rache Selbstzweck. Sängerisch kommt sie gut durch die Mammutpartie, in der Mittellage muss man bei ihr immer Abstriche machen und auch bei der Textverständlichkeit. Dennoch kann ihre Interpretation das Prädikakt "rollendeckend" in Anspruch nehmen, nicht zuletzt wegen der Fachvertreterinnen, die sonst mit der Rolle betraut werden. Als Chrysothemis überzeugt einmal mehr Eva-Maria Westbroek, die mit der Partie vor mehr als zehn Jahren ihren Durchbruch geschafft hatte. Aufgrund der vielfältigen stimmlichen Möglichkeiten steht ihr inzwischen ein breites Repertoire offen. Vielleicht sollte sie demnächst zur Rolle der Elektra wechseln, das wäre früh, aber konsequent. René Pape als Orest ist eine absolute Luxusbesetzung, der Sänger könnte mit seiner stimmlichen, wie darstellerischen Präsenz wohl jeden Abend tragen. Hier agiert kontrolliert und gefährlich, schon mit seinem Auftreten kommt eine andere Temperatur ins Geschehen. Der schreit nicht nach Rache wie Elektra, der tut es und der wird auch nicht aufhören. Mit einer subtilen Personenführung schärft die Regie hier die Handlung weit über das eigentliche Stück hinaus. Eher enttäuschend der Aegisth von Robert Gambill, man muss wohl sagen der ehemalige Heldentenor, der in Auftritt und Gesang farblos bleibt. Die kleineren Partien leisten einen substantiellen Beitrag, können aber schon vom Stück her kaum eigene Akzente setzen.

Die Wiener Philharmoniker spielen unter Danielle Gatti einen sehr ausgereifte, nicht vorschnell in eine Richtung getriebenen Strauss. Das ist alles sehr laut, aber dennoch differenziert und in den Details hörbar. Vielleicht könnte man sich für ein paar Momente eine etwas größere Sängerfreundlichkeit wünschen. Den breiten, sinfonischen Ansatz wandelt Gatti im Laufe das Abends zu einem musiktheatralischen, das funktioniert dann wirklich gut. Mitunter gerät das dann kraftvoll auftrumpfend und gemahnt an Guiseppe Verdi. Man hat schon andere Interpretationen gehört, aber diese ist auf jeden Fall auch eine gültige und passt perfekt in den Raum des Großen Festspielhauses. Vielleicht ist es zu hoch gegriffen, diese Inszenierung als die Aufführung des Jahres zu betiteln, aber in Salzburg wird wieder Richard Strauss gespielt. Und wie!

2 Kommentare:

  1. Tolle Kritik, mir ging es beim Zusehen ähnlich. Ein großer Abend, den man viel zu selten erlebt!

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  2. Die Vorstellung am Montag hat Irene Theorin abgesagt. Sie scheint nicht unbedingt die robustetste und zuverlässigste Sängerin zu sein. An ihrer Stelle sang Janice Baird. Hat das jemdand gehört und kann sagen, wie sie das gemacht hat?

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